Frühjahrstagung 2023 - Thema und Statement

"lst die Wirklichkeit der Bilder auch die Realität, in der wir leben?


Die Wirklichkeit ist das,  was in mir wirkt, weil ich mir ein inneres Bild davon  mache. Die Realität ist das,  was auch  ohne  mein Denken  da ist und weiterhin da sein wird. Der Übergang eines Menschen  in die Nichtexistenz bedeutet den  Untergang seiner Wirklichkeit und seiner inneren Bilder, seines Kosmos.


Unsere  inneren Bilder, die nur schwer  mit einer Erwachsenensprache beschrieben werden können, steuern unser  Verhalten und prägen unsere Persönlichkeit. Die Bilder, die sich in der Kindheit eingeprägt haben, werden wir nicht einfach löschen können, und doch ist dies ein Ziel der Psychotherapie, gerade wenn  die Metaphern von Zeugung  und Geburt  verwendet werden, verbunden mit der Hoffnung,  eine neue Wesenheit im Patienten zu entdecken und wirksam werden zu lassen. Auch kollektive Erinnerungen und Bilder prägen unsere Persönlichkeit. Die historische Wissenschaft kann  persönliche Erinnerungen und die damit verbundenen Bilder zerstören und somit auch  unsere Persönlichkeit verändern.


Innere Bilder, in Abgrenzung zu allen hergestellten Bildern, sind wie ein Mantel zu unserem Schutz.  Sie sind ein Netz, mit dem  wir versuchen, andere zu fangen und zu binden. Ohne diese inneren Bilder sind wir nackt,  ohne  Freiheit, ein Niemand. Neben diesen schützenden Mantel gibt es allerdings auch  die inneren Bilder, die erbarmungslos in uns eindringen, Schmerzen verursachen und von denen wir uns wünschen, sie nicht zu haben.


Die Bilder unseres frühen  Lebens lösen tiefe Gefühle aus,  auch  wenn,  oder  gerade weil sie schwer  zu verwörtern sind. Bilder der Zeugung  und Geburt  berühren unsere Hoffnung auf eine Wiedergeburt, Bilder der frühesten Kindheit wecken  unsere Urangst  vor dem Alleinsein, die wir mit den  von Melanie Klein vorwörterten Bildern zu mildern versuchen, Bilder der bösen  Brust und des   von einem Kind oder  dem  Penis des Vaters besetzten Bauches  der Mutter.  Im Sinne eines Überlebenskampfes werden diese Bilder bekämpft, um sie zu zerstören.


Taminos Arie in “Die Zauberflöte": „Dies Bildnis ist bezaubernd schön..“  spricht davon, wie sich die Liebe schon  bei der Betrachtung eines Bildes entzündet. Diese Wirkmächtigkeit eines Bildes ist rätselhaft, Menschen, die ein Gemälde unbedingt besitzen müssen, weil es glücklich macht. Die Wirkung eines Bildes verändert uns auch  gesellschaftlich, wenn  wir an das Foto des  neunjährigen, nackten Phosphor-Mädchens  denken. So mächtig war dieses Bild, dass  die USA alles getan haben, um ähnliche Bilder aus  einem Krieg nicht mehr  in die Öffentlichkeit kommen  zu lassen.


Für Filme gilt die Maxime, dass  Bild vor Wort geht,  dass  jede  Erklärung oder  Deutung die Qualität des  Films untergräbt. Die Bilder, nicht die Worte sollen sich einprägen.
Sie erlösen uns von der Langeweile, sie können  neue  Perspektiven vermitteln oder sie dienen der Selbstheilung, wenn  „Helden“ all das meistern, an dem wir scheitern.


Soziale Medien sind geprägt von einer unvorstellbaren Bilderflut, die vielleicht eine größere Wirkung auf uns haben als die Kunstprodukte Film. Ein Film hat  die Macht, mitten in unserer Wirklichkeit diese Wirklichkeit außer  Kraft zu setzen, und doch bleibt die Vorstellung vom Film als etwas  Erzeugtem. Demgegenüber scheinen die Bilder der Sozialen Medien etwas  über  die Realität zu sagen, obwohl diese oft noch künstlicher sind als Filme.


Man schaut einen Film im TV, in einer Hand das Handy, in der anderen einen Laptop, der erste  Griff am Morgen gilt nicht mehr  einer Person  sondern der Bilderwelt. Der Titel einer „Kronenburger Woche“ lautete: Die Gier – der Bilder Freund.  Was bleibt ist die Frage,  wie man  es da noch schafft,  sich zu konzentrieren.


Dr. phil. Rolf-Arno Wirtz